„Weniger Selbstzweifel und mehr Mut zum Anderssein“
Interview: Patrick Stahl
Frau Plassnik, Sie sind vor Kurzem nach über 40-jähriger Tätigkeit auf dem diplomatischen Parkett in den Ruhestand getreten. Wie haben Sie sich auf den neuen Lebensabschnitt vorbereitet?
Indem ich den Jüngeren stärker über die Schulter schaue und von ihnen lerne. Ich möchte ein Stück mehr Unbeschwertheit in mein Leben bringen, mehr Zukunftsfreude, Lust auf Veränderung. Und digital selbstständiger werden.
Sie studierten Rechtswissenschaften und Europarecht. Was fasziniert Sie an internationalen Verbindungen?
Ich bin eine verhinderte Ethnologin. Mich faszinieren Menschen aller Kulturen, Farben, Herkünfte. Und mich interessiert, wie man das Zusammenleben von Menschen besser organisieren kann – im eigenen Land wie im Weltdorf. Das Recht bringt zum Ausdruck, wie wir miteinander leben wollen. Was geht – was nicht geht.
Sie waren von 2004 bis 2008 Aussenministerin Österreichs. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Das dominante europäische Thema war die Zusammenführung von Ost und West. Und die Auseinandersetzung mit dem radikalen Islam in Europa. Stichwort dänische Karikaturenkrise. Es war noch Teil einer grossen Umbruchszeit. Österreich in dieser Zeitenwende gut und verlässlich zu positionieren, war eine tolle Aufgabe.
Sie gelten als glühende Europäerin und hatten dadurch auch immer wieder gegen Widerstände anzukämpfen. Wie haben Sie solche Auseinandersetzungen gemeistert?
Mit innerer Überzeugung und Ausdauer. Ein US-Journalist meinte, „Die europäische Einigung ist das am schlechtesten vermarktete politische Wunder der Geschichte“. Recht hat er! Natürlich gelingt vieles nicht. Tag für Tag gibt es auch auf europäischer Ebene unzählige Anlässe für Ärger. Aber nur gemeinsam werden die Europäer sich im Zeitalter der Globalisierung behaupten.
Einprägsam war, als Sie sich in einem T-Shirt mit der Aufschrift „unbeeindruckt“ zeigten, nachdem Sie in einem österreichischen Medium als „EU-Fanatikerin“ kritisiert worden waren. Wie kam es dazu?
Es war die Antwort auf den Versuch, mich durch Spott und Häme mundtot zu machen. Dagegen muss man sich wehren, manchmal eben mit kreativen Mitteln.
Hatten Sie jemals das Gefühl, dass Sie wegen Ihres Geschlechts benachteiligt werden?
Benachteiligt ist vielleicht der falsche Ausdruck. Nicht hinreichend ernst genommen trifft es besser. Diese Erfahrung verbindet übrigens die Frauen überall auf der Welt miteinander. Zu lange wurden die Stimmen, Ansichten, Einschätzungen der Frauen nicht gehört. Die Männer waren im öffentlichen Raum unter sich. Das schafft schlechte Gewohnheiten.
Sie traten 2008 aus freien Stücken von Ihrem Amt zurück – was gab den Ausschlag, dass Sie dieses eindrückliche Amt aufgaben?
Nüchtern betrachtet war mir klar, dass der nächste Regierungschef wie auch der Vizekanzler eine andere europapolitische Haltung und Linie hatten. Da war für mich und meine Überzeugungen nicht mehr genug Gestaltungsraum.
Sie wechselten wieder in den diplomatischen Dienst und waren zuletzt Botschafterin in der Schweiz. Wie sind Sie mit dem eher schwierigen Verhältnis der Schweiz zu Europa zurechtgekommen?
Die Schweiz beobachte ich seit 1985, damals war Bern mein erster Auslandsposten. Ich habe 1992 die EWR-Ablehnung erlebt und 2021 das Scheitern des Institutionellen Rahmenabkommens. Was will die Schweiz wirklich? Das Rätsel bleibt ungelöst. Während die Eidgenossen diese Frage für sich selbst klären müssen, verdichtet und vertieft sich die europäische Einigung unter den Nachbarn. Niemand kann sich zur Insel erklären.
Was sind Ihre Pläne für den neuen Lebensabschnitt?
Mehr Freiheit, mehr Lachen, mehr Engagement für Anliegen, die mir wichtig sind. Europa, die Frauen, die Jugend. Interessieren würde mich auch Mentoring für Spitzenkräfte. Führen macht einsam. Da kann es hilfreich sein, sich mit einem erfahrenen „Alpha-Tier“ auszutauschen.
Welche Ratschläge möchten Sie jungen Frauen auf den Weg mitgeben?
Weniger Selbstzweifel. Mehr Mut zum Anderssein. Führen statt folgen!