«Hinter jeder starken Frau steht eine noch stärkere Familie»
Die Wirtschaftsprüferin Shqiponja Isufi ist seit Ende 2019 Partnerin bei Grant Thornton Schweiz/Liechtenstein. Im Interview spricht sie über Karriere, Familienzusammenhalt und das 1.-August-Feuerwerk.
Frau Isufi, wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt?
Shqiponja Isufi: Für uns alle war es eine nie dagewesene Situation. Die Herausforderung war, dass wir die bundesrätlichen Empfehlungen und Weisungen sehr rasch in unseren Organisationen umsetzen mussten. Doch dank der guten Zusammenarbeit aller Beteiligter haben wir diese Zeit gut meistern können. Da auch die Schulen einige Wochen geschlossen wurden, übernahm mein Mann die Betreuung unserer beiden Söhne zu Hause. Somit hielt sich der Shutdown- bzw. Lockdown-Impact für mich persönlich in Grenzen.
Das erste Quartal 2020 ist beendet und für viele Unternehmen damit auch das erste Quartal des Geschäftsjahrs. Die Erstellung des entsprechenden Berichts dürfte diesmal alles andere als «business as usual» sein.
Der Corona-Impact lag nur teilweise im ersten Quartal, d. h. für Unternehmen der betroffenen Branchen, die mehrheitlich in der Schweiz bzw. international weniger mit den betroffenen asiatischen Ländern Geschäftsbeziehungen pflegen, ist in der Regel der Monat März schlechter ausgefallen. Je nachdem, wie die Performance im Januar und Februar ausfiel, war der Impact noch überschaubar. Ich denke, dass die Erstellung der Halbjahresberichte den kurzfristigen Coronaeffekt eher widerspiegelt. Viele Branchen haben langfristige Aufträge, d. h. bei solchen Unternehmen werden erste Auswirkungen frühestens im vierten Quartal sichtbar und dann natürlich in den Folgejahren. Die Folgen für die Abschlüsse werden je nach Unternehmen individuell sein, denn es kommt drauf an, welchen tatsächlichen Impact der Lockdown für diese gehabt hat. Für die Prüfer muss sichergestellt sein, dass genügend Prüfevidenz vorhanden ist, bevor das Revisionsstellentestat abgegeben werden kann. Bei Konkursen werden wir genau hinschauen müssen.
Von 2011 bis 2019 am Hauptsitz der KPMG Schweiz in Zürich tätig, sind Sie seit Ende 2019 Partner bei Grant Thornton. Wie kam’s?
Bei KPMG hatte ich eine lehrreiche, dynamische und erfolgreiche Zeit. Als sich dann auch der nächste Karriereschritt abzeichnete, erhielt ich während dieses Prozesses ein interessantes Angebot von Grant Thornton, das ich nicht ablehnen konnte. Ich liebe es, neue Herausforderungen anzupacken, und bei Grant Thornton erhielt ich die Möglichkeit, mich noch in eine andere Richtung zu entwickeln und eine Abteilung zu übernehmen.
Im «NZZ Folio», Ausgabe Februar 2018, «Drei Frauen machen Karriere», behagt Ihnen die Vorstellung von der Rolle als Vorzeige-Kosovarin wenig.
Dass ich als eine von drei Frauen porträtiert worden bin, sehe ich als glücklichen Zufall. Ich kenne viele engagierte und erfolgreiche Frauen (und auch Männer) mit Migrationshintergrund, welche es genauso verdient hätten, vorgestellt zu werden. Für viele junge Secondos ist die Schweiz zur Heimat geworden. Die meisten von ihnen wollen hier ihre Chancen nutzen und als aktiver Teil dieser multiethnischen Nation namens Schweiz die Zukunft mitgestalten.
Als ihr «grosses Glück» bezeichnen Sie nicht die Karriere, sondern ihre Familie, einen Ehemann und zwei gesunde Kinder.
Ich bin sehr froh darüber, dass meine Ausbildungen, mein Engagement und meine Leistungen mit einer entsprechenden Karriere belohnt worden sind. Dennoch ist für mich die Familie mein Glück. Eine gesunde und unterstützende Familie zu haben, ist nicht selbstverständlich. Hinter jeder starken Frau steht eine noch stärkere Familie! Ich glaube kaum, dass ich ohne diese Unterstützung einen solchen Werdegang gemacht hätte.
Was bedeutet für Sie Erfolg?
Erfolg bedeutet für mich, wenn ich meine Ziele, egal ob kleine oder grosse, erreicht habe und ich mich dabei ausgeglichen und glücklich fühle. Erfolg hat sich für mich im Leben auch dann eingestellt, wenn ich frei respektive autonom bin und ich mich lediglich mit den Themen auseinandersetze, welche ich selber möchte.
1990 kamen Sie im Alter von neun Jahren nach Emmen, wohin bereits ihre Eltern aus Gjilan flüchten mussten. Welche Erinnerungen sind noch präsent?
Als Kind hatten meine Schwester und ich in Gjilan trotz schwierigster politischer Lage eine schöne Kindheit. Doch das Fehlen der Eltern in diesem jungen Alter hinterlässt Spuren, welche man nicht einfach wegwischen kann. Als wir dann in die Schweiz gefahren sind, erinnere ich mich, dass ich vom Feuerwerk in Luzern beeindruckt war. Es war der 1. August 1990 und mittlerweile weiss ich natürlich, dass die Eidgenossenschaft an diesem Datum ihren Rütlischwur feiert. Doch damals erzählte uns mein Vater, dass das Feuerwerk zu unserer Freude gezündet werde.
Sie sprechen Deutsch, Albanisch, Englisch und Französisch. Welche Sprache ist Ihnen am nächsten? In welcher träumen Sie?
Obwohl Albanisch und Deutsch meine Muttersprachen sind, kann ich mich auf Deutsch viel besser ausdrücken. Wenn es um den zwischenmenschlichen Austausch im Privaten geht, z. B. mit meinen Kindern, spreche ich Albanisch. Beide Sprachen berühren mich emotional, geträumt habe ich schon in beiden.
Neben Ihrem Engagement bei Grant Thornton üben Sie eine Lehr- und Dozententätigkeit an der Universität St. Gallen und bei Expert Suisse aus …
Ich unterrichtete während meiner Promotion an der Universität St. Gallen und erhielt später Anfragen, als Lehrbeauftragte im Bereich der Wirtschaftsprüfung tätig zu sein. Seit Abschluss der Wirtschaftsprüfer-Ausbildung unterrichte ich auch bei der Expert Suisse. Ich empfinde das Unterrichten als grosse Bereicherung. Man lernt selbst dazu und bleibt fachlich up to date. Mit meiner Aufgabe bei Grant Thornton kombiniere ich es so, dass ich meine Lehrtätigkeiten auf die Zeit zwischen Juni und November begrenze. So bin ich während der «busy season» als Wirtschaftsprüferin vollumfänglich für meine Kunden und mein Team da.
… und sind im Familienbetrieb, dem Teegrosshandel Drini-Brand GmbH, eingebunden.
Als Kind einer Unternehmerfamilie ist man zwangsläufig im Familienbusiness involviert. Ich habe insbesondere am Anfang meinen Beitrag beim Aufbau des Grosshandelsbusiness geleistet. Aktuell bin ich eher im Hintergrund, stehe aber natürlich als Beraterin zur Verfügung.
Am 13. Businesstag für Frauen zum Thema «Inspirierende Lebenswege – mit Leidenschaft und Engagement zum Erfolg» am 20. Oktober in Vaduz sind Sie Talkgast und führen einen Workshop durch. Was dürfen die Gäste des Workshops erwarten?
Ich werde den Auftritt gemeinsam mit Viktoria Steger bestreiten. Wir begeistern uns für «Female Entrepreneurship» und so lautet auch unser Workshop. Viktoria Steger hat eine generationsübergreifende Studie über Unternehmensgründerinnen verfasst und gibt interessante Einblicke in ihre Interviews mit Unternehmerinnen. Ich bringe die Sichtweise als Leiterin der Audit-Abteilung bei Grant Thornton ein und gebe auch Einblicke hinsichtlich meiner Funktion als Mitinhaberin unseres Familienunternehmens.
Eine Frage am Rande: Die Gerichtskommission von National- und Ständerat hat am 20. Mai ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber eröffnet. Ihre Meinung zu diesem Fall?
Meiner Meinung nach ist die Position des Bundesanwaltes dermassen exponiert, dass die Integrität dieser Person über jeden Zweifel erhaben sein müsste. Herr Lauber mag sich zwar bei den Treffen mit Fifa-Präsident Infantino juristisch korrekt verhalten haben, dennoch hätte es so nicht ablaufen dürfen. Der Vertrauensverlust hinsichtlich der Integrität seiner Person ist nicht wiedergutzumachen. An seiner Stelle hätte ich meinen Rücktritt erklärt. Weitere Details zu diesem Fall entziehen sich meiner Kenntnis.
Ihre Prognose für die europaweite Wirtschaftslage bis Ende des Jahres?
Der Lockdown hat sowohl in der Schweiz wie auch in Europa einen grossen externen Marktschock verursacht. Durch die vielen finanziellen Rettungspakete der Staaten werden die Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt jedoch erst mit Verzögerung spürbar sein. Dennoch müssen wir genau hinschauen, welche Verluste, Konkurse etc. tatsächlich der Coronakrise geschuldet sind bzw. welche Firmen dies nur als Vorwand für ihr Scheitern nehmen. Jedenfalls benötigen wir auch weiterhin die Unterstützung des Staates, der Banken und nicht zuletzt aller privater Unternehmungen.